Reflections on work and life.

Gedanken zu Arbeit und Leben. Von Franz Kuehmayer.

Weltenbrand und Morgenröte

Wir sind nicht allmächtig, aber auch nicht ohnmächtig. Wir können etwas tun. Diese Überzeugung ist auch unter dem apokalyptischen Eindruck des Krieges ungebrochen – ja, geradezu im Gegenteil, sie ist stärker als je zuvor. Denn so sprachlos uns die Katastrophe in der Ukraine macht, sie darf uns nicht tatenlos werden lassen. Jetzt sofort. Aber auch langfristig. Denn der Feuerschein des Krieges kann den Weltenbrand auslösen, oder eine neue Morgenröte sein.

Ich habe mir Zurückhaltung auferlegt, etwas zu dem Krieg in der Ukraine zu sagen. Zu sehr bin ich selbst erschüttert und zu schal und belanglos erscheinen mir Worte im Lichte dieser menschlichen Katastrophe. Ich weiß aus Gesprächen mit Freunden, Bekannten, Kunden und Geschäfspartnern, dass es vielen so geht in diesen Tagen.

Aber unsere erste Reaktion der völligen Fassungslosigkeit darf uns nicht auf Dauer vereinnahmen und in Zaum halten. 

Ich habe ich stets dem Possibilismus das Wort geredet – der festen Überzeugung, dass wir Gestalter sind, Möglichmacher, dass wir die Zukunft und unser Schicksal formen. Diese Überzeugung ist auch im Angesicht des Krieges in der Ukraine ungebrochen, im Gegenteil, sie ist stärker als je zuvor.

Das blanke Entsetzen.

Ich habe gestern mit einer Stammhörerin meines Podcasts telefoniert. Sie ist Managerin in einem internationalen Konzern, der ein Kunde von mir ist und sein Eastern Europe Headquarter hier in Wien hat. Diese Firma hat Niederlassungen auch in Russland und in der Ukraine. Das Büro in Russland wird zugesperrt, die Managerin ist grade dabei, das abzuwickeln. Aber vor allem sind sie und ihr Team damit beschäftigt, die Familien der Mitarbeiter in der Ukraine zu kontaktieren, zu versorgen und auch zu evakuieren, und ihnen im sicheren Ausland Unterkunft und auch Perspektive zu geben. Und zwar nur die Frauen und die Kinder, denn die Männer dürfen nicht ausreisen, sondern müssen im Krieg kämpfen.

Es ist so unfassbar. Es ist ein Albtraum.

Ich bin entsetzt über das Elend, das der Krieg auslöst, über das Leid, das Tyrannen über Menschen bringen können.

Bei mir hat dieses Entsetzen durchaus Sprachlosigkeit ausgelöst. Dabei geht es nicht nur um das Ringen um die richtigen Worte, ob ich zu dieser entsetzlichen Lage noch etwas Kluges sagen könnte, etwas noch nicht Gesagtes. Sondern daran, überhaupt etwas sagen zu wollen und zu können.

Denn der Krieg hat auch das Nachrichten- und Kommentar-Geschäft ohnehin auf unfassbare Weise beschleunigt und verstärkt. Im Irak-Krieg, mit seinen embedded journalists, waren wir erstmals ständige Zeugen des Irrsins des Krieges, live dabei. In der vernetzten, mit mobilen Devices ausgestatteten Welt von heute braucht es nicht mal mehr Kriegsberichterstatter, wir sind nicht nur live dabei, sondern mitten drin.

Zumindest in der Bilderwelt, der sich so mancher kaum noch entziehen kann. Aber natürlich sind wir nicht wirklich mitten drin, auch wenn der Krieg so nahe an unsere Heimat gekommen ist, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Selbst wenn wir hier in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz oder überhaupt im sogenannten Westen politische und wirtschaftliche Folgen erleben, so sind wir hier dennoch nicht die Betroffenen — die wirklich Betroffenen, das sind selbstverständlich die Menschen in der Ukraine, denen gerade die Städte und Häuser zerbombt werden und deren Leben auf dem Spiel steht, und es sind jene Menschen, die aus dem Kriegsgebiet fliehen, fliehen müssen, ihr Hab und Gut und auch ihre Lieben zurücklassen müssen. Das sind die Betroffenen.

Die Stunde der Taten.

Diese Betroffenheit braucht keine Worte, sie braucht Taten. Die Menschen in der Ukraine, aber auch die Menschen in Russland, die unter der Diktatur leiden, brauchen keine Kommentare, sondern Hilfe. Das ist das Gebot der Stunde.

Meine Bitte an Sie alle ist: Was auch immer Sie tun können, wo auch immer Sie sich einbringen können, um zu helfen: Tun Sie es, und tun sie es jetzt. Tun Sie es privat, als Bürgerin und Bürger, tun sie es aber auch im Rahmen ihrer beruflichen Einflussmöglichkeiten. Sei es durch Spenden, durch aktive Tatkraft, durch Unterkünfte, durch Hilfsgüter, tun sie es zur Unterstützung der Millionen Geflohenen, tun sie es zur Unterstützung der Menschen vor Ort – egal, was, aber bitte tun Sie etwas.

Unsere Sprachlosigkeit darf nicht in Tatenlosigkeit münden, der Schrecken, der in uns gefahren ist, muss im Gegenteil neue Energien freisetzen. Jetzt, sofort, kurzfristig. 

Ein Albtraum aus vergangen geglaubten Zeiten.

Wir müssen aber auch mittel- und langfristig handeln. Und dazu möchte Ihnen Mut machen, und ganz ehrlich: Auch mir selbst Mut machen.

Denn natürlich ist es ein Albtraum, was in der Ukraine passiert. Wie aus längst vergangenen Zeiten. Ich bin noch aus der Generation, deren Eltern und Großeltern zwei Weltkriege erlebt haben, deren Erzählungen und manchmal auch deren Schweigen Bände darüber gesprochen hat, welch unfassbare Gräuel der Krieg mit sich bringt. Und so eindrücklich diese Bände waren, und die Bilder, die sie im Kopf ausgelöst haben, so sehr war es doch ganz klare Vergangenheit. Eine grauenvolle Zeit, aber eine, die hinter ihnen lang und hinter uns lag. 

Die Gegenwart meiner Jugend war das Gleichgewicht des Schreckens, die ständig präsente gegenseitige Bedrohung der bis an die Zähne bewaffneten Atom-Mächte – aber gleichzeitig steckte in dieser Projektion einer möglichen vollständigen Auslöschung auch die perverse Sicherheit, dass eben genau das nicht passieren würde. Den Knopf, der die Apokalypse auslösen würde, den würde niemand drücken, der einigermaßen bei Verstand ist. Das haben wir damals nicht nur geahnt und gehofft, sondern wohl auch als tatsächlich gegeben angenommen. „Der Russe steht vor der Tür“, war damals eine Redewendung — damit hatten wir uns abgefunden, aber auch darin Trost gefunden, dass er zwar ständig vor der Tür steht, aber dort auch bleiben würde.

Geteiltes Europa.

Viel praktischer haben wir die Konsequenz dieser bipolaren Weltordnung im Alltag erlebt, durch die Teilung Europas, durch den eisernen Vorhang. Am Deutlichsten ist das natürlich in Deutschland, und besonders in Berlin zu Tage getreten, aber auch hier in Österreich war das ganz eminent zu spüren. Die Grenze zu dem, was man damals Ostblock nannte, ist nur wenige Kilometer von Wien entfernt. Zwei Meter hohe Stacheldrahtzäune, Minenfelder und Wachtürme. Dahinter begann in meiner Jugend eine andere, eine fremde Welt. Wobei, genauer gesagt, hatte diese Welt schon vor der Grenze ihre Spuren hinterlassen — je näher man Richtung Osten gefahren ist, umso dünner besiedelt war das Land, umso grauer erschien es, umso weniger Straßen, Zugverbindungen, Leben gab es.  Das Land war eindeutig nach Westen ausgerichtet, weg von dem streng bewachten Zaun zu unseren Nachbarn.

Entlang der Grenze, einige Meter auf österreichischer Seite, waren Schilder aufgestellt: „Keine Angst, Sie sind in Österreich, sie sind in Sicherheit.“. Die Schilder galten den wenigen, denen es gelungen war, den eisernen Vorhang auf der Flucht zu überwinden. Ich weiß nicht, ob sich irgendjemand, der heute ganz beiläufig mit dem Zug oder dem Auto über eine Schengengrenze fährt, ohne anzuhalten, ohne Kontrolle, ohne Angst, sich vorstellen kann, was Menschen empfunden haben müssen, die diese Schilder damals gesehen haben.

Diese Teilung war aber nicht nur eine geografische, sondern vor allem eine politische und damit auch eine der Wertung. Hier, im Westen, waren wir natürlich die Guten – dort drüben, im Osten, da herrschte das böse Regime. Selbstverständlich bezog sich diese Wertung nicht auf die Menschen dies- und jenseits der Grenze, ein Urteil war es dennoch. Und damit auch der Grundstein für Identitätsstiftung, für Motivation und Begeisterung.

Ich kann mich noch wirklich lebhaft an die sogenannte Ostöffnung erinnern, daran, dass wir es noch Tage, ja Stunden davor für unmöglich gehalten haben, dann an die Grenzöffnungen, an die symbolischen Akte des Zerschneidens des Zauns durch Politiker, an die Fahrzeugkolonnen, die zum ersten Mal in den Westen gekommen sind, an die Freude der Freiheit, an die die Freude darüber, eine weitgehend friedliche Revolution zu erleben, an den Optimismus, der diese Tage und Jahre geprägt hat, an die Hoffnung, dass nun überwunden sein würde, was uns geteilt hat. Klar, da war einiges an der positiven Emotion naiv, und dass das Zusammenwachsen uns alle fordern würde, und bis heute noch fordert, das gehört zu der Selbstverständlichkeit dieser größeren Schicksalsgemeinschaft, die Europa ist.

Wenn ich das so erzähle, dann klingt auch das wie eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten. Ein unüberwindbarer Gegensatz zwischen dem Westen und dem Osten, Russland als Feindbild, die Teilung Europas, Menschen auf der Flucht vor einem dikatorischen Regime, und vor allem vor den Schrecken des Krieges. All das schien uns bis vor Kurzem fern, in anderen Teilen der Welt noch existierend, aber nicht hier, nicht in Europa, nicht wenige Kilometer von Wien, von Österreich, von Deutschland entfernt.

Unsere Verantwortung. Unsere Erlösung.

Es ist ein Albtraum. Und neben dem Lindern der unmittelbaren Not, die dieser Albtraum ausgelöst hat, liegt unsere Verantwortung darin, sicherzustellen, dass wir aus dem Albtraum erwachen und nie wieder so schlecht träumen.

Possibilismus, das heißt anzuerkennen, dass man zwar nicht allmächtig ist, nicht alle Probleme der Welt lösen kann, ja noch nichtmal alle Probleme in seinem eigenen Einflussbereich lösen kann. 

Aber gleichzeitig auch die Gewissheit zu haben, dass man nicht ohnmächtig ist. Dass wir zwar nicht alle, aber doch manche Dinge bearbeiten können, lösen können. Wir sind nicht allmächtig, aber eben auch nicht ohnmächtig.

Wir sind nicht allmächtig, aber auch nicht ohnmächtig. Wir sind wirkmächtig.

Franz Kühmayer

Das ist der zentrale Satz des Possibilismus, den ich vertrete: Wir sind wirkmächtig. Wir können etwas bewegen. Und es ist unsere Aufgabe, unsere Pflicht, aber auch unsere Erlösung, dass wir das können und dass wir unsere Wirkmacht dazu verwenden, die Welt ein Stück besser zu machen.

Die Konsequenzen des Krieges treffen, wie gesagt, zu allererst die Betroffenen. Keine Frage. Sie treffen aber mittel- und langfristig alle Menschen.

An unseren Gesellschaften und unserem sozialen Zusammenhalt rütteln zum Beispiel die Kriegsgewinnler, die gerade die Rohstoffpreise nach oben treiben, und sich goldene Nasen am Krieg verdienen. Der Krieg beschneidet unsere finanziellen und politischen Freiräume, unsere Zukunft zu gestalten, und uns den wirklich wichtigen Fragen der Menschheit zu widmen. 

Der Krieg führt auch zum Wiederauferstehen der Falken. Jener Militärs und Sicherheitsberater, die endlich den compelling case dafür gefunden haben, Rüstungsbudgets allerorts milliardenschwer aufzublasen. Und damit auch das Potential, uns in einer Konflikthaltung noch weiter zu verfestigen, wieder zurück zum Gleichgewicht des Schreckens zu kommen. Ist das verständlich? Ja klar. Aber ist es hilfreich? 

Die Hoffnung.

Ich habe eine andere Hoffnung, nämlich dass wir uns im Angesicht des Krieges und des Leids, das er auslöst, nicht noch weiter bewaffnen, sondern im Gegenteil, die Friedensbemühungen vorantreiben, den Ausgleich der Interessen. Dass wir nicht Milliarden für noch mehr Waffen flüssig machen, sondern Milliarden für eine fairere, gerechtere Welt, in der es weniger Konflikte gibt. Wir Menschen sind in unserem Schicksal mehr denn je miteinander verbunden.

Wie können wir denn auf der einen Seite von globalen Herausforderungen sprechen, die wir nur global lösen können – wie zum Beispiel der Klimakrise – und uns gleichzeitig in eine permanente Konflikthaltung wie in der Blütezeit des Kalten Krieges zurückversetzen? Wie können wir in die Zukunft blicken, und uns damit abfinden, dass wir 30 Jahre nach dem Niederreissen des Eisernen Zauns einen neuen errichten, fünf/sech-hundert Kilometer weiter östlich? Was hilft es mittel und langfristig in Gut und Böse zu denken und auch zu teilen?

Wir brauchen mehr Kooperation und weniger Konfrontation. Wenn ich über Possibilismus spreche, und über positive Leadership, dann ist das immer eine konkrete, eine pragmatische Perspektive. Es ist niemals esoterisches Geschwurbel, es ist niemals rosa-bebrillte-Wohlfühl-Rhetorik und es ist auch niemals naiv. 

Der Krieg, so apokalyptisch er ist, ist, wie jede Krise, ein Evolutionsbeschleuniger. Er redefiniert das Morgen.

Der Feuerschein des Krieges kann den Weltenbrand auslösen, oder eine neue Morgenröte sein. 

Franz Kühmayer

Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, dann müssen wir vor allem von drei Wahrheiten überzeugt sein.

Erstens, dass uns diese Zukunftsgestaltung tatsächlich gelingen kann. Dass wir nicht einem unentrinnbaren Schicksal ausgesetzt sind, dass unsere Lebenswege nicht vorbestimmt sind, sondern dass wir Täter sind, Täter und Schöpfer unserer eigenen Zukunft.

Zweitens, dass uns dieses Erschaffen der Zukunft gemeinsam besser gelingen wird, als alleine. Dass wir nicht nur schöpferische Wesen sind, sondern soziale Wesen, empathische Wesen, dass wir nicht nur miteinander auf der Welt sind, sondern auch füreiander.

Und schließlich drittens, dass wir das nicht nur können, sondern auch sollen, ja geradezu müssen. Dass das unser Auftrag ist. Nicht ein Auftrag, den uns ein höheres Wesen erteilt, sondern jener, den wir uns selbst erteilen. Jeden Tag aufs Neue, in unserem eigenen Interesse und in unserer Verantwortung für die Welt und die Zukunft.

Wir können es. Wir können es gemeinsam. Und wir sollen es.

Tun wir es.

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Franz Kühmayer ist einer der einflussreichsten Vordenker zur Zukunft der Arbeit.

 

Kontakt: hallo @ franzkuehmayer.com

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