Reflections on work and life.

Gedanken zu Arbeit und Leben. Von Franz Kuehmayer.

Apokalyptische Gedanken – Teil 4: Leistung verhindert Erkenntnis.

Für die „Generation Corona“ wird die aktuelle Situation ebenso einschneidend sein, wie die ganz großen Krisen der Vergangenheit für unsere Vorfahren. Sie „wird das Antlitz der Erde verändern“, sagte der Wiener Erzbischof in diesen Tagen. Wir leben in prägenden Zeiten. Welche Gedanken können uns durch diesen Tsunami leiten — und vor allem, uns auf eine neue Zukunft einstellen? Dazu – ohne jeden Euphemismus – fünf positiv stimmende Anregungen. *)

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Teil 4:

Leistung verhindert Erkenntnis.

Alles wird immer schneller, dynamischer. Das Gefühl kennt man selbst allzu gut. Wir konnten mit der Geschwindigkeit der Welt schon bislang schwer mithalten, und jetzt muss alles plötzlich nochmal viel schneller gehen. Kritische, für Unternehmen geradezu überlebenswichtige Entscheidungen stehen an und sie erlauben keine Verzögerung.

Die Corona-Krise als Turbo-Beschleuniger.

Dabei hat Dynamik nur am Rande mit Geschwindigkeit zu tun. Viel eher ist sie Ausdruck der Menge und Tragweite an Überraschungen, die auf uns einwirken – aufgrund von externen Impulsen, wie z.B. Marktveränderungen – oder die wir selbst schaffen – zum Beispiel durch eigene Innovationen. Zentral ist: Es geht um Unplanbares, Unvorhersehbares, Überraschendes.

Im privaten Alltag erleben wir das vielfach als bereichernd, ja sogar wünschenswert. Die gesamte Unterhaltungsindustrie lebt davon, dass wir überrascht werden wollen: Durch die Pointe des Kabarettisten, durch den Plot-Twist im Film, durch das aufmerksame Geschenk, das uns ein lieber Mensch bereitet. Verliefe unser Leben stets so, wie wir es erwartet haben, würde uns sehr bald langweilig.

Wir haben als Menschen nicht nur die Fähigkeit, sondern sogar die Sehnsucht danach, Überraschungen zu erleben und zu meistern.

Im beruflichen Kontext ist jedoch das Gegenteil der Fall. „No suprises“ gilt als eine der wichtigsten Regeln im Umgang mit Führungkräften. Und wirkt auch im größeren Maßstab. Aktienkurse von Unternehmen orientieren sich beispielsweise an der Erwartungshaltung der Analysten, die man besser nicht enttäuschen sollte.

Konsequenz: Heerscharen von Mitarbeitern werden in Konzernen darauf gedrillt, Abweichungen vom Geplanten zu finden, zu eliminieren und ggf. auch zu bestrafen: Konzernrevision, Prozessbeauftragte, Verfahrenshandbuchautoren, ISO-9000-Champions, Six-Sigma-Blackbelts – die Namen sind klingend, der Auftrag ist stets gleich: No surprises. Das Fehlerlose wird angestrebt, am Deutlichsten ausgedrückt durch den Begriff des „Glattläufers“. Darunter wird in der Finanzindustria ein Geschäftsvorgang verstanden, der von A bis Z so abgelaufen ist, wie geplant: Alle Formulare richtig ausgefüllt, die Fristen eingehalten, die Formvorgaben erfüllt. Perfekt.

Unternehmen versuchen, durch Perfektion ihres bisherigen Vorgehens, ihre Zukunftsfähigkeit abzusichern. Und je zielstrebiger sie das tun, umso härter ist der Aufprall in der Realität.

„Je planmäßiger unser Vorgehen, umso wirkungsvoller trifft uns der Zufall.“ wußte schon Friedrich Dürrenmatt. Ein Beispiel gefällig? Während die deutsche Automobil-Industrie mit geradezu manischer Detailverliebtheit die Spaltmaße bei VW, Audi & Co immer weiter zu reduzieren trachtete, ist der Wandel in Richtung Elektromobilität an ihr vorübergezogen. Ergebnis: Tesla konnte 2018 am zweitgrößten Automarkt der Welt erstmals mehr Fahrzeuge absetzen als Audi. Reaktionen aus Stuttgart, München und Wolfsburg: Aber die Spaltmaße!! Perfekt, oder?

Resilienz, Dynamik-Resistenz und Robustheit zu verbessern, gelingt nicht durch Leistungssteigerung.

So nachvollziehbar es ist, sich in unsicheren Märkten und schwankenden Konjunkturen auf Effizienz und Restrukturierung zu konzentrieren, so kurzsichtig ist es auch. Die kalte Corona-Dusche hat es deutlich gemacht: Zukunftssicherheit, ja sogar Überlebensfähigkeit, hängt vom scheinbar unnötigen Überfluss ab, von Zwischenlagern, Umwegen, Redundanzen. Von Vielfalt statt Slimline.

So ausgefeilt Planungs-, Budgetierungs- und Produktions-Prozesse auch gestaltet sind, letztlich gelangt nicht nur die Organisation, sondern auch der darin handelnde Mensch an einen Punkt, an dem Komplexität und Dynamik der Welt nicht mehr beherrschbar sind. Situationen, die nicht mit Ursache-Wirkungs-Prinzipien erklärt werden können, führen auch die Chefetage auf brüchiges Terrain. Dann braucht sie eine zuversichtliche Denk- und Handlungsweise im Umgang mit Unsicherheit und Risiko.

Was für Organisationen zutrifft, gilt spiegelgleich für auch für die handelnden Personen selbst:

Der Fokus auf Leistung ist die Abkürzung in die Sackgasse.

Je enger der Tunnelblick, umso gefährlicher verengt sich nicht nur die fachliche, sondern auch die menschliche Perspektive. Der schiere Leistungsgedanke ist ein Risikofaktor –  für die Qualität unternehmerischer Entscheidungen, aber auch mindestens so stark für unsere eigene Verfassung.

Christian Konrad, fast 20 Jahre lang Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes und damit selbst einer der mächtigsten Manager des Landes, hat beobachtet: „Wenn Spitzenmanager Ihre Funktion verlieren, fällt oft alles weg.“ Für karriereorientierte Workaholics, die sich im beruflichen Alltag vorwiegend auf Business Continuity konzentrieren und das nächste Umsatzziel vor Augen haben, ist das eine schmerzhafte Erfahrung, die sie oft erst dann machen, wenn sich persönliche Krisen einstellen.

Erst wenn erlebt wird, dass die vertrauten Wege ihre Wirksamkeit nicht mehr in gewünschter Weise entfalten, greifen wir auf das zurück, was tiefer sitzt. Spät, manchmal bedauerlicherweise zu spät, wird klar: Das Streben nach noch mehr Leistung hat Erkenntnis verhindert. An unseren persönlichen Grenzen angelangt, erkennen wir deutlich, was uns als Menschen zutiefst bewegt und ausmacht: Familie, Gemeinschaft, Kunst, Kultur. Wir sind soziale und schöpferische Wesen.

Corona führt uns als Gesellschaft und als Wirtschaft an die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Und eröffnet damit völlig neue Chancen.

Das kreative Multitalent Markus Gull beschreibt die kontemplatorische Stille des Home Office als idealen Resonanzraum: „Auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt und uns, während wir zuhause sitzen, das Gefühl von Hausarrest, Strafe, Isolation und Kranksein begegnet, so ist doch das Gefühl von Nachsitzen weit stimmiger: Jetzt können wir nachlernen, was wir längst wussten.“

Die Inspiration für ein gelingendes Morgen wird nicht daraus entstehen, dass wir uns fragen, wo wir in der Vergangenheit mehr Leistung erbringen hätten sollen. Sie wird auch nicht daraus erwachsen, Corona als eine einmalig auftretende Anomalie des Business-Lebens zu betrachten. Wir müssen daraus vor allem die Fähigkeit zur Bewältigung der Dynamik der Welt lernen. Diese Fähigkeit unterscheidet sich fundamental vom tradierten Leistungsgedanken.

Leistung verhindert Erkenntnis. Gute Führung erhebt sich daher aus der kühlen Rationalität der Businesslogik auf die Ebene der Sinnlichkeit. Das ist keine esoterische Träumerei, und es ist nicht nur aus humanistischen Gründen Wert-voll, sondern wirtschaftlich Sinn-voll. 

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*) Warum es sich dabei um apokalyptische Gedanken handelt, erfahren Sie im fünften Teil der Serie. Hier geht’s zu den bereits erschienenen Beiträgen:

Filed under: Business, Creativity, Future Of Work, Leadership, Life, Strategie, Zukunft

Der Wendepunkt

(Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Blogparade Innovation)

Ich beschäftige mich aufgrund meiner Tätigkeit in sehr unterschiedlichen Facetten mit dem Thema Innovation. Da ist einmal die Trendforschung, ein wesentlicher Input für viele Innovationsprozesse: Wir gehen gesellschaftlichen und sozio-ökonomischen Strömungen auf den Grund und berichten mit prognostischen Methoden über ihre Auswirkungen auf Märkte, Strukturen und Unternehmen. Da ist zweitens die Unternehmensberatung, bei der wir im Rahmen von Consultingprojekten mit Führungskräften österr. Unternehmen aber auch internationaler Konzerne arbeiten und sie auf dem Weg in ihre unmittelbare Zukunft begleiten: Wir haben somit tiefgreifende praktische Erfahrung damit, wie Top-Manager an das Thema Innovation herangehen. Und last but not least lehre ich an Fachhochschulen, u.a. Innovationsmarketing an der FH Wiener Neustadt, und stehe somit im Diskurs mit der kommenden Managementgeneration.

Und eben der Unterschied zwischen diesen beiden letzten Zielgruppen ist immer wieder spannend und aufschlussreich. Am deutlichsten wird dies anhand einer Übung, die ich sowohl in Workshops mit Unternehmen einsetze, als auch an der FH mit Studenten. Im Wesentlichen geht es dabei um zwei Fragen: 1) Finden Sie – innerhalb eines abgesteckten Themenfeldes – eine Innovation. 2) Beschreiben Sie, warum diese Innovation scheitern wird.

Die erste Frage soll Perspektiven öffnen, die Gedanken weit machen, Kreativität zum Einsatz bringen. Wir wenden unterschiedliche Kreativitätstechniken an, beschäftigen uns mit Suchfeldern, lernen von anderen Beispielen und versuchen auf diese Weise neue, eben innovative Ansätze zu finden. Die zweite Frage soll Hürden aufzeigen, und auf diesem Weg der eben gemachten Innovation den Weg zum Erfolg ebnen. Denn: Innovation = Invention + Exploitation, es reicht also nicht aus, eine gute Idee zu haben, es muss auch gelingen, dieser Idee zum Durchbruch am Markt zu verhelfen.

Das Interessante bei diesen beiden Fragen: Studenten tun sich mit der ersten Frage ganz leicht, sie sprühen vor Kreativität und finden in einer halben Stunde unzählige (und durchaus vielversprechende!) Ideen. Dafür tun sie sich schwer mit der zweiten Frage, ihnen fehlt die Praxis des harten Wirtschaftsalltags, sie können schwer einschätzen, was alles schief gehen kann und wird. Manager dagegen zeigen genau das umgekehrte Verhalten: Sie brauchen vergleichsweise lang, um neue Ansätze und Ideen zu finden, zu eingefahren sind sie bereits in ihren Denkweisen und Annahmen. Dafür können sie aus dem Stand blitzartig eine lange Liste erstellen, warum eine bestimmte Idee sich nicht durchsetzen wird: Budgetfragen, Kompetenzthemen, organisatorische Probleme, der Mitbewerb usw. – die Flipcharts werden da sehr schnell voll.

Warum ich das bemerkenswert finde? Weil es offenbar einen Wendepunkt gibt, an dem eine Nachwuchsführungskraft ihre Kreativität einbüßt und vom Alltag dermaßen vereinnahmt wird, dass ihr Fokus mehr auf Probleme als auf Innovation gelenkt wird. Eben noch kreativ und voller Ideen, und plötzlich (oder schleichend) voller guter Gründe, warum das alles nichts wird.

Natürlich braucht man im unternehmerischen Kontext beide Kompetenzen: Weder eine Hurra-Mentalität, die wie eine junge Katze jeder neuen Idee nachläuft, führt zum Ziel; noch eine destruktive Grundhaltung, die viel zu rasch auf Probleme fokussiert. Denn: Wer zu früh an Probleme (z.B. Kosten) denkt, riskiert die Innovationskraft; wer zu spät daran denkt, riskiert das Unternehmen. Man kann sich das ganze ruhig wie eine Wippe oder Schaukel vorstellen: auf beiden Seiten muss genug Energie vorhanden sein, damit sich etwas tut. Interessant ist, dass in vielen Chefetagen ganz deutlich der Problemfokus vorherrscht, und viele Topmanager es verlernt haben, wirklich kreativ zu sein und neue Ideen zu generieren. Wenn aber eine Führungsmannschaft die beiden notwendigen Kompetenzen nicht in ausbalancierter Form besetzt, sondern mehr oder weniger geschlossen auf der Bremserseite steht, dann ist in der Innovationskultur des Unternehmens sehr schnell der Wurm drin.

Und wie ist das bei Ihnen? Auf welcher Seite der Wippe stehen Sie?

Filed under: Creativity, Innovation, Leadership

Fixe Anstellung oder Multigrafie? Vom Arbeiten im Informationszeitalter

Innerhalb von nur einer Generation haben Informationstechnologien das Arbeiten und den Arbeitsalltag grundlegend verändert. Wie wir in Zukunft arbeiten werden, darüber hat der ORF ein Interview mit mir geführt, das in der Serie „Digital Leben“ ausgestrahlt wurde.

Hier der Link dazu.

Filed under: Creativity, Future Of Work, Zukunft

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Impressum und Kontakt

Franz Kühmayer ist einer der einflussreichsten Vordenker zur Zukunft der Arbeit.

 

Kontakt: hallo @ franzkuehmayer.com