Reflections on work and life.

Gedanken zu Arbeit und Leben. Von Franz Kuehmayer.

5 Prioritäten für HR

Klarheit im HR-Dickicht von KI, Employer Branding, People Analytics. 5 Prioritäten dienen als Kompass.

Der digitale Umbruch der Arbeitswelt hält Unternehmen auf Trab. Diese Entwicklung hat mit remote Work so richtig Fahrt aufgenommen, und parallel dazu mit allen Formen von HR-Automatisierung und People Analytics, und natürlich mit der zunehmenden Bedeutung der Bespielung digitaler Kommunikationskanäle für die Talent Akquisition.

Nun klopft KI an die Türe – und zwar lauter und deutlicher als viele es sich noch vor wenigen Monaten gedacht hatten. Eine aktuelle Untersuchung von McKinsey weist aus, dass 10% der europäischen Arbeitnehmer:innen bereits regelmäßig im beruflichen Kontext mit generative AI arbeiten, also bspw. Chat GPT regelmäßig einsetzen. Ungefähr gleich viele Menschen verwenden es häufig privat, mehr als 40% haben es zumindest schon einmal ausprobiert und nur jeder Fünfte hat noch gar keine Erfahrungen damit. KI ist blitzartig in der Mitte der Arbeitswelt angekommen. Dabei stehen wir erst ganz am Anfang. Die künftigen Auswirkungen auf personalrelevante Themenfelder wie Jobprofile, Kompetenzen usw. kann man sich nur ansatzweise ausmalen – und doch ist genau das von HR Verantwortlichen gefragt.

Personalmangel – es ist ja schon längst kein Fachkräftemangel mehr – hat mittlerweile alle Branchen erfasst. Die Ursachen liegen im Wandel des Arbeitsmarktes, kombiniert mit der demografischen Entwicklung. Manche Arbeitgeber, wie beispielsweise das österr. Bildungsministerium sind erstaunlicherweise völlig überrascht und werden von Pensionierungswellen – also Rentenantritten – eiskalt am linken Fuß erwischt, mit dem Ergebnis dass zu Schulbeginn plötzlich hunderte Lehrkräfte in Österreichs Schulen fehlen. Professionell geleitete Personalabteilungen agieren da schon vorausschauender, aber im Wettrennen um Arbeitskräfte hecheln alle Betriebe dringend gesuchten Mitarbeitern hinterher oder versuchen sie zu halten.

Im Übrigen beschäftigt weiterhin der Wertewandel in der Gesellschaft die Personalabteilungen nach wie vor intensiv. Der Stellenwert von Arbeit wird zunehmend neu oder anders beleuchtet und für die eine oder andere Führungskraft ergeben sich daraus mitunter frappierende Diskussionen mit Kandidat:innen und Mitarbeitenden.

Digitalisierung, KI, Arbeitskräftemangel, Wertewandel – die Themen, die auf der Agenda von Personalverantwortlichen stehen, sind enorm, haben massive Tragweiten und lassen sich keinesfalls einfach so neben dem Tagesgeschäft lösen.

Dazu kommt noch eine nicht enden wollende Fülle an HR spezifischen Themen: Active Sourcing, Employer Branding, Upskilling, Talent Intelligence, usw. – die Liste ist schier endlos. Zuweilen mag sich hinter diesen Schlagwörtern tatsächlich weniger eine vielversprechende Aktivitäten für HR verbergen, als vielmehr alter Wein in neuen Schläuchen. Aber natürlich sind auch klingende Marketingfloskeln von Anbietern von HR-Dienstleistungen durchaus legitim.

Bloß: Sieht man sich die Summe an Themen an, die auf dem Schreibtisch von HR liegt, zeigt sich deutlich, wie absolut notwendig es für Personaler ist, klaren Kopf und klaren Fokus zu bewahren, um die richtigen und wichtigen Entscheidungen zu treffen und in der Organisation umzusetzen.

In der Prioritätensetzung wird es dabei kaum gelingen, das eine oder andere zuvor genannte Megathema gegen das andere ins Rennen zu schicken. KI oder Employer Branding, das kann keine lohnende Frage sein.

Der Zugang muss daher anders gewählt werden, nicht über eine thematische Auswahl, sondern über ein Set von Zugängen, von Haltungen zu den Themen der Zeit. Vielleicht so etwas wie ein Kompass, der auf der Reise immer wieder daran erinnert, wie die Ausrichtung sein sollte. Und dieser Kompass ist durchaus branchenneutral anwendbar, für Unternehmen aller Größenordnungen und aus allen Industrien. Man könnte also beinahe „universelle Prinzipien der HR Arbeit von morgen“ dazu sagen, aber man kann auch beim schlichten „5 Prioritäten“ bleiben.

Die erste der fünf beschäftigt sich mit der Frage, wieviel Vorlaufzeit man für Transformationen einplanen sollte, wann der richtige Zeitpunkt ist, den Wandel einzuleiten, und in gewohnter Klarheit lautet die Aussage:

Jetzt. Nicht in der Zukunft. JETZT!

Ja, wir sprechen von der Zukunft der Arbeit und ja, wir sprechen auch von der Zukunft von HR. Aber das bedeutet keineswegs, dass wir den Horizont unserer Entscheidungen und Handlungen ins Morgen schieben dürfen. Die Gegenwart in jeder Firma ist immer einnehmend, es liegt in der Natur der Sache, dass es keine Ruhephasen gibt, in denen man endlich dazu kommt, das zu tun, was man schon lange tun wollte oder sollte. Es gibt immer genau jetzt irgendetwas zu tun, irgendein Task steht zu jedem Zeitpunkt an oder wird an Personalverantwortliche herangetragen. Aber das Dringende war schon seit jeher der Feind des Wichtigen, und niemals war diese Weisheit zutreffender als jetzt.

Umgelegt auf hochproduktive Personalarbeit bedeutet das: Nichts wäre unproduktiver, als Tätigkeiten effizienter zu machen, die in Zukunft gar nicht gemacht werden sollten. Das trans-aktionale „Run the business“ muss zugunsten eines trans-formationalen „Change the business“ in den Hintergrund gedrängt werden.

Es geht um nichts weniger als um die Frage, ob man HR frisches Denken zutraut, wenn es darum geht, die Spielregeln für Menschen und Organisationen neu zu formulieren. In vielen bedeutenden Themen – Nachhaltigkeit, zum Beispiel, oder KI – gibt es jetzt aktuell ein Mondfenster, etwas zu tun, die Organisation neu auszurichten. Es ist eigentlich ganz einfach: Wer jetzt beim Thema KI vorne dabei ist, hat tatsächlichen Wettbewerbsvorsprung. In drei Jahren wird niemand mehr vor dem Ofen hervorgelockt, wenn ein Unternehmen sich nun auch mit KI beschäftigt. Und auch die Position am Markt wird dadurch nicht gestärkt sein – man wird es als völlig selbstverständlich annehmen. Daher Punkt 1: Jetzt sofort mit den wichtigen Themen beginnen.

Punkt 2 schließt daran an, denn natürlich stellt sich die Frage: Was sind die wichtigen Themen? Es gibt niemanden, der Verantwortlichen diese Entscheidung abnehmen kann und es gibt auch niemanden, der ihnen zusichern kann, dass ihre Themenwahl sich als richtig herausstellen wird. Punkt 2 lautet daher:

Mut zeigen, big bold bets eingehen.

Zeiten des Wandels sind immer auch Zeiten der Unsicherheit, wir haben dann ein Übermaß an Information, aber viel zu wenig belastbare Erkenntnisse. Im Gegenteil haben wir in solchen Lagen meistens sogar konfliktierende Datenpunkte: Die einen sagen so, die anderen sagen so. Typische Reaktion darauf: Zuwarten, bis sich der Nebel gelichtet hat, bis die Signale klarer sind. Das ist die abwägende Strategie, aber mit Vorsicht hat das nichts zu tun – nur mit Zögerlichkeit.

Man darf sich immer wieder vor Augen halten: Wir leben in wunderbaren Zeiten des Aufbruchs, in unternehmerischen Zeiten. Und dazu gehört auch Risiko einzugehen, eine Handvoll sogenannter Big Bets einzugehen, mutig große Schwerpunkte zu setzen, mit viel Energie und Ressourcen dahinter, und jedenfalls nicht dem Fehler zu unterliegen, zuzuwarten oder gar halbherzig alles mögliche hier und da ein bissl auszuprobieren.

Damit sind wir auch schon bei Punkt 3: Weiter denken, weiter handeln.

Wenn nun ein Unternehmen eine Handvoll von Big Bets identifiziert hat, was soll dann die Zielvorstellung in diesen Themen sein? Was läßt sich da tatsächlich erreichen, wo liegt der Benchmark?

Meine Empfehlung ist da sehr klar: Lassen Sie sich nicht durch ihre aktuelle Ausgangslage und ihre gegenwärtige Situation beschränken. Ich merke immer wieder, wenn bei einer Konferenz ein sehr progressives Unternehmen aus seiner Praxis berichtet, oder wenn ich einem Klienten Referenzbeispiele aus unserer Arbeit mit anderen Firmen vorstelle: Wenn man selbst gefühlt noch ganz weit hinten ist, dann ist man im Angesicht von sogenannten „Best Practices“ verleitet, in die Demutsrolle zu schlüpfen: Puh, die sind da schon viel weiter als wir, bevor wir dort hinkommen, müssen wir noch eine Menge Hausaufgaben machen, müssen wir uns erst langsam und zäh an einen Status heranarbeiten, bei dem wir dann so ein Projekt überhaupt angehen können, wie das, was wir da in dem Beispiel gerade gesehen haben.

Das mag schon hie und da stimmen, fixing the basics trifft viele Betriebe. Aber ich meine, es ist auch ein Zeichen von selbstgewählter Mutlosigkeit. Disruptionen ermöglichen uns, lineare Entwicklungsschritte zu überspringen, das ist ja das Tolle an sprunghaften Veränderungen. Wer einen lohnenswerten Zielzustand C sieht, und selbst noch bei A steht, sollte sich sehr sehr ernsthaft fragen, ob er wirklich vorher noch von A zu B gehen sollte, oder nicht gleich die Energie aufwendet, um direkt zu C zu springen. Die Arbeitswelt ist aktuell einem so radikalen Wandel unterworfen, dass es wohl auch im Bereich der Personalarbeit mehr braucht, als nur inkrementelle Veränderungen. 

Viertens, Ownership übernehmen – auch über „artfremde“ Themen.

Personalverantwortliche und HR Abteilungen haben selbstverständlich umfassende Kompetenzen im Bereich der Personalarbeit und sind organisatorisch auch entsprechend aufgestellt. Und zu tun gibt es ja wirklich genug, davon war ja bereits die Rede. Jedenfalls bleibt dann meistens wenig Zeit, sich in ganz andere Fachgebiete einzuarbeiten – und in einer arbeitsteilig strukturierten Welt gibt es ja vordergründig auch keine Notwendigkeit dafür.

Wenn HR aber Employer Branding Kampagnen der Marketingabteilung überläßt, KI als Technologie-Thema am Besten beim CIO aufgehoben sieht, und Business Themen ohnehin beim COO oder CFO, dann darf sich niemand wundern, wenn ihm in entscheidenden Diskussionen nur ein nischenhaftes Stimmrecht zukommt.

„A seat at the table“ – Mitsprache bei strategisch entscheidenden Fragen, das wünschen sich Personaler seit jeher. Allerdings: Man sollte sich gut überlegen, was man sich wünscht – es könnte nämlich passieren, dass man es bekommt. Um einen substantiellen Beitrag zur Unternehmensentwicklung leisten zu können, benötigen Personaler inzwischen ein sehr hohes Maß an Business- und Technologie-Kompetenz. Verlangt wird Sattelfestigkeit in Themenfeldern wie Business Development, Strategie, Innovationsmanagement oder eben auch beispielsweise KI – all das nicht gerade die klassischen HR-Themen. 

Wo das gelingt, wird der Personalfunktion echte Thought Leadership zugetraut, als HR Abteilung aber auch persönlich als HR Verantwortliche.

Fünftens: Besinnung auf die Rolle von HR.

Was wie ein Widerspruch zum vorherigen Punkt, in dem ich eine breite thematische Aufstandsfläche angemahnt habe, wirkt, ist es nicht. Denn natürlich meine ich mit der Ausdehnung der Kompetenzen von HR in andere Themenfelder hinein keineswegs eine verwaschene Beliebigkeit des Rollenbildes.

HR ist das Hoheitsgebiet zutiefst menschlicher Entscheidungen. Hier wird über den Erfolg, die Laufbahnen, die Lebenswege von Menschen verhandelt – und zwar von einzelnen Menschen.

Wenn wir über Organisationsentwicklung sprechen, wenn wir Begriffe wie Unternehmenskultur, agile Strukturen, systemisches Change Management in den Mund nehmen, dann bekommt man zuweilen den Eindruck, es mit mehr oder weniger amorphen Massen zu tun zu haben, oder zumindest mit anonymen Mengen: Die Mitarbeiter:innen, die Kandidat:innen, die Top-Talents, usw. Verstärkt wird das durch den seit Jahren gelebten HR Business Partner Ansatz, dass also die operative Personalarbeit der jeweiligen fachlichen Führungskraft obliegt, und nicht der Personalabteilung. Das ist ja auch absolut sinnvoll. Es ermöglicht direkte Personalthemen genau dort anzusiedeln, wo sie im Tagesgeschäft anfallen, nämlich in der Fachabteilung, zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden, und es erlaubt der HR Abteilung, sich Themen mit größerer Hebelwirkung zuzuwenden.

Was aber nicht passieren darf: Dass HR das zentrale Subjekt seiner Tätigkeit aus den Augen verliert, nämlich das H in HR. Damit das gelingt, darf sich HR auch bei großen Transformationen – oder besser gesagt: gerade bei großen Transformationen – nicht hinter wohlfeilen Begrifflichkeiten und Maßnahmen verstecken, sondern muss sehr klar das Ohr am Puls der Menschen haben, die in der Organisation tätig sein.

Das sind sie also, die 5 Prioritäten der HR Arbeit für die Zukunft:

1. Jetzt sofort mit dem Wandel beginnen

2. Mutig sein, big bets eingehen

3. Weiter denken und weiter handeln

4. Ownership übernehmen auch über artfremde Themen

5. Den Menschen im Mittelpunkt behalten.

Der Blick nach vorne:

Zeiten des Wandels sind Zeiten der Verunsicherung. Wir spüren: Das alte verliert zunehmend an Bedeutung, das neue ist noch nicht reif, noch nicht greifbar, wir schweben im Limbo zwischen gestern und morgen. Von HR Abteilungen darf und soll Zuversicht ausgehen, dass der Wandel gelingen kann und gelingen wird. Gefragt ist kein blauäuiger Optimismus, wir haben es schließlich mit Erwachsenen zu tun – aber sehr wohl eine zuversichtliche Perspektive auf die Arbeitswelt von morgen.

Der Ausgangspunkt ist, eine Vision für das eigene Unternehmen zu erarbeiten, gemeinsam mit dem gesamten Führungsteam oder sogar in einem umfassenderern Visionsprozess. Die 5 Prioritäten, die hier vorgestellt wurden, können als Gerüst für einen solchen Prozess dienen.

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Franz Kühmayer ist einer der einflussreichsten Vordenker zur Zukunft der Arbeit.

 

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